Richard and Christel Vinbrux mit Judy, Daniel und Sarah in  Oamaru, Otago, New Zealand Verbindung halten Die neue Heimat Roetgener in der Fremde Roetgener Seiten Nordamerika Neuseeland Indien In Arbeit In Arbeit Historische Auswanderer
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Ein Roetgener in Neuseeland von Richard Vinbrux Es sind jetzt schon fast fünfzehn Jahre vergangen seitdem wir - mit der Hilfe von eingen Freunden - unseren Hausstand in zwei Container gepackt und Roetgen den Rücken gekehrt haben. In unserer neuen Heimat angekommen, war die erste Frage bei vielen Unterhaltungen: "Why did you leave Germany?" (Warum hast du Deutschland verlassen?). Neuseeland steckte mitten in einer Rezession, und es war für Neuseeländer schwer zu verstehen, warum einer das "Wirtschaftswunderland Deutschland" ohne zwingenden Grund verlassen würde. Natürlich gibt es immer eine Vielzahl von Gründen, die einen in ihrer Summe zu einem solchen Schritt bewegen; aber mir ist heute eines klarer als vor fünfzehn Jahren: Mein Hauptgrund  war eine gescheiterte Liebesbeziehung. Meine Liebe zu Roetgen  Das klingt zugegebenermassen etwas theatralisch, besonders da ich, wie vielleicht bekannt, noch nicht einmal in Roetgen geboren bin, doch habe ich mich immer als Roetgener gefühlt. Doch zurück zu meiner unglücklichen Liebe. Ich bin 1970 eingeschult worden, die Grundschule war die alte katholische, zu diesem Zeitpunkt noch nicht lange die allgemeine Grundschule fuer Roetgen. Roetgen war 1970 noch ein richtiges Dorf, mit so um die 5000 Einwohner und noch nicht all zu vielen  "Freäme" (fuer  nicht Roetgener: ein/eine Freäme" ist ein Nicht-Roetgener, egal ob aus Aachen, Monschau oder Timbuktu). Da meine Eltern erst 1964 aus Aachen nach Roetgen gezogen waren, waren sie auch "Freäme", aber  da mein Vater im Herzen nie ein Städter war, stand einer relativ schnellen Integration nichts im Wege.  Das Roetgen, in dem ich aufwuchs, war nicht nur ein Dorf, weil es nicht genug Einwohner hatte, um eine Stadt zu sein, es war ein Dorf in seiner Seele. Für mich lebt ein Dorf durch seine “Charakteren”.  Da mein Vater, wie hoffentlich noch bekannt, ein eifriger Student der Volksseele war, (und wo lässt sich diese besser studieren als in der Kneipe?), hatte ich das Glück, viele dieser “Charakteren” noch kennen zu lernen. Wolters Jupp hatte seine eigene Kneipe und war unnachahmlich, besonders wenn er dreierlei Bier aus einem Zapfhahn fliessen liess. Da waren Hosse Jüppche, Heere Willchen, Maye Karl und Höppe Albeert. Und es wurde politisiert, lauthals und voller Enthusiasmus, allerding nicht im Ernst. Für Aussenstehende mag es allerdings bedrohlich gewirkt haben, wenn sich erwachsene Männer mit "schwazze Verbrecher"  oder "rue Lomp" betitelten. Ich bin von Nellessen's Tüen  bei Kasteännchen ins Bein gekniffen worden und war dabei, als Wolters Els in die Eiche kam, um ein paar Mann zu rekrutieren, die ihr bei einer kalbenden Kuh helfen konnten.  Einmal infiziert mit einer Neugier nach den Geschichten der "Alten" habe ich dann auf eigene Faust Bekanntschaft mit dieser Generation gesucht. So habe ich von Krusche Annchen spinnen gelernt und von Nellessens Alois  ein Schaf gekauft. Von Breuers Albert auf der Auet habe ich so viel gelernt,  dass man es nicht aufzählen kann, aber unter anderem Sensen und Baume veredeln. Und alle haben sie erzählt, Geschichten aus ihrer Jugend, von einer Zeit ohne Fernseher, ohne Autos und natürlich lange bevor irgend jemand an Computer dachte. Bereits in den Siebzigern (1970) und Achzigern (1980) hatten wir uns weit von dieser Epoche entfernt, aber sie lebte noch in den Alten, den Orginalen weiter. Und irgendwie schaffte sie es noch, durch diese Alten ein warmes Licht in unsere neongrelle neue Welt zu schicken. Noch gab es Dorfkneipen, noch hielt man beim Bäcker oder beim Metzger einen "Klaaf", wenn man mal warten musste. Aber mit den Alten ging leider auch der letzte warme Glanz, die Kneipen verdorrten zu Gaststätten, und beim Metzger schwieg man sich an, um nur ja nicht zu verpassen, wann man an der Reihe war. Schleichend ging das, ganz langsam, und es dauerte auch eine ganze Weile, bis es uns bewusst wurde. Mitte der Neunziger (1995) erwacht ich zu der Wahrheit , dass das Roetgen, das ich geliebt habe, im Sterben lag. Noch waren einige der Alten am Leben, aber es waren nicht mehr genug, um den dahingaloppierenden Wandel aufzuhalten.  Ein Wandel , den man nicht messen konnte, der sich nicht nur in den ganzen Neubauten manifestierte, sondern auch in den Herzen der Menschen und der Seele des Dorfes. Jeder Versuch, diesen aufzuhalten, wäre von vorneherein zum Scheitern verurteilt gewesen; zu schnell war die Fahrt in Richtung Fortschritt, auch wenn das Ziel unbekannt war. Inzwichen sind wieder fünfzehn Jahre vergangen, in denen ich nur zwei Mal für eine kurze Weile in Roetgen war; nicht lange genug, um mir ein wirkliches Bild zu machen. Und trotzdem schockiert mich, dass nicht mal mehr an einem Sonntagmorgen  irgendwo ein vernuenftiger Frühschoppen zu Stande kommt. Durch das Internet habe ich die Möglichkeit weiterhin zu verfolgen, was in Roetgen und Umgebung so geschieht, und kann es mir nicht verkneifen, noch immer davon berührt zu sein. Trotzdem haben wir hier in Neuseeland ein Zuhause gefunden, wo wir in vieler Hinsicht auch ein Stück altes Roetgen weiterleben lassen, in der Art wie wir leben, und in den vielen Geschichten die immer noch in meinem Kopf zuhause sind.  Welche ich, besonders nach ein paar selbstgebrauten Bieren, immer gerne erzaehle.  Heimweh nach Roetgen haben wir eigentlich nie, da wir wissen, dass "unser" Roetgen nicht mehr existiert.