Adolf Herzwurm erzählt die Geschichte der Alexandesch-Geschwister:
Mit freundlicher Erlaubnis des “Geschichtsverein des Monschauer Landes” (MoLa 1995, S.169ff)
Die Alexandesch-Geschwister von Adolf Herzwurm Mit meiner Nachbarin Maria Krott, die auch das Foto zur Verfügung stellte, habe ich oft Erinnerungen an die liebenswerten Roetgener Originale, die Alexandesch-Geschwister, ausgetauscht. Die Alexandesch waren die drei ledigen Geschwister Julius, August und Emma Schröder. Im Ort wurden sie aber nur "die Alexandesch" genannt, ein Zuname, der wohl von einem Vorfahren abgeleitet wurde. Ihre Geburtsdaten dürften um 1860 liegen. Sie wohnten auf dem Heidkopf in Roetgen (jetzt Haus Nr. 16). Das alte Alexandesch-Haus ist im Frühjahr 1983 ausgebrannt. Die beiden Männer waren ursprünglich Handweber und hatten Ende des vorigen Jahrhunderts vermutlich die Umstellung auf die Maschinen Weberei nicht mehr mitvollzogen. Um den Lebensunterhalt zu bestreiten, hielten sie eine Kuh, bestellten einen schönen, von Hecken umsäumten Garten, banden und verkauften Heidebesen, flickten Schirme und lebten noch in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts fast wie im vorigen Jahrhundert. Im Dorf waren die Alexandesch selten zu sehen. Nur August ging wöchentlich im blauen Kittel, mit einem Korb im Arm und selten ohne Schirm zu "Abrahms" (frühere Bäckerei Mathée-Klubert) Brot holen. Umso mehr waren die drei an Besuchern interessiert, die Neues zu berichten wussten. Wenn zur damaligen Zeit jemand den Heidkopf hinaufging, wurde er meist schon im Obergeschoß-Ausguck von Julius oder August erspäht und als Besucher oder Vorbeigehender erkannt. Mein Vater, der immer Interessantes zu berichten wusste, war stets willkommen. In Verbindung mit den Sonntagsspaziergängen, auf denen er mich mitnahm, besuchten wir oft gemeinsam die Alexandesch. Während mein Vater mit: "Do könt der Jean, wo-escht lang net mie he-i" begrüßt wurde, erhielt ich von Emma ein Zuckerklümpchen und setzte mich auf die Bank. Mir gegenüber stand links in der Stube Emmas Bett. Im Winter lag oft rechts ein Futterheu, das für die Kuh vorgewärmt wurde. Die Türe gegenüber führte in einen Raum mit Tennenboden. Hier stand in der Mitte der Haustock. Geordnet hing viel Geschirr an den Wänden. Besonders beeindruckt hat mich damals eine Mausefalle "Marke Eigenbau". Zu ihren Haustieren hatten die Alexandesch ein sehr vertrautes Verhältnis. Das Melken er-folgte nach besonderer Methode: Emma molk erst in eine "Schepp", reichte diese dem Au-gust, und der schüttete die Milch dann in den Eimer. Selbst ihre Hühner hatten alle einen Namen, der oft auch über Aussehen und Herkunft etwas aussagte. So erinnere ich mich an "et Böttschje van der Löttche". Besondere Gefälligkeiten von Besuchern oder Nachbarn wurden mit einem "Dröppche" belohnt. Für "Unverschämte", die nicht maßhalten konnten oder sich selbst einschenkten, hatte Emma eine kleine Flasche, für "Anständige" aber eine große! Ältere Bewohner Roetgens erzählten, dass Emma als junge Frau sehr hübsch war. Sie selbst sprach gerne über ihre Jugendzeit und von einem Höhepunkt in ihrem Leben, als bei einem Fest der Bürgermeister sie zum Ehrentanz geholt hatte! In Bezug auf Sitte und Anstand sagte sie oft, dass eine Frau so gehen sollte, dass der Rocksaum sich nicht bewege. - Allgemeine Regel bei den Alexandesch war, dass Anklopfen, Handgeben und im-Arm-gehen nur etwas für Stadtleute wäre. Ebenso hielten alle drei nichts von "Maschinekrom". Mein Vater berichtete bei seinen Besuchen meist das Neueste aus aller Welt. So bemühte er sich auch, Radio- und Rundfunkwellen zu erklären. Darauf meinte Emma: "Wenn dat jo dörch de Luet könnt", dann würden bei der Höhenlage ihres Hauses wohl bald die Fensterscheiben oben, in den Zimmern von August und Julius, kaputt sein. Wann immer nun eine Neuigkeit große Verwunderung bei den Alexandesch auslöste, wurde das meist mit den gleichen Worten und in der gleichen Reihenfolge zum Ausdruck gebracht. Zunächst ließ Emma ein dezentes "mer-ho" verlauten. Dann brachte August mit "siehste net wat haste, et es jo vörr ze baschte!" einen ganzen Vers. Und nach einer Pause beendete Julius mit "et es vermaacht" in patriarchalischer Gelassenheit die dreifache Verwunderung. Im Heu waren wir Nachbarn von den Alexandesch, weil wir in Schwerzfeld gegenüberliegende Grundstücke hatten. Bevor überhaupt Julius und August mit dem Heumachen begannen, wurde erstmals aus Zweigen eine Schutzlaube gemacht. An den nächsten Tagen begann dann in Gemächlichkeit das Mähen und Heumachen, wobei die an den vier Seiten der Wiese stehenden Bänke viel genützt wurden. Nach einigen Wochen, wenn die Wiesen ringsum schon wieder grünten, beluden die Alexandesch dann endlich den letzten Wagen. Zur damaligen Zeit, ohne Unterhaltung durch Rundfunk und Fernsehen, sorgten die Leute selbst für etwas Spaß. In einem Jahr hatte mein Vater im Frühjahr nach dem Düngen noch etwas Kunstdünger übrig, mit dem er auf dem mageren, selten gedüngten Grundstück von Alexandesch ein großes Kreuz markierte. Bald zeigte der Kunstdünger seine Wirkung: Auf der blassgrünen Wiese zeichnete sich ein Kreuz in sattem Grün ab! Den Nachbarn und natürlich auch Julius fiel der sonderbare Graswuchs auf. An einem Sonntagmorgen gelang meinem Vater ein "zufälliges" Zusammentreffen mit Julius, der auf das große Kreuz in seiner Wiese starrte. Nun stand Julius Wundern und frommen Dingen sehr kritisch gegenüber, und als mein Vater nach einer Weile meinte, dass wohl ein braver Mann durch einen frommen Spruch das Wunder bewirkt haben könnte, musterte Julius meinen Vater mit vielsagendem Blick und sprach: "Ja Jean, wo Mest es, do Chrest es!". Julius und August sind um 1930 gestorben, Emma 1942 im Altersheim des heutigen (1995) Pacellihauses, nachdem sie etwa ein halbes Jahr dort war. Es war ihr im letzten Lebensjahr noch eine besondere Freude, als in ihrem Haus auf dem Heidkopf das erste Kind zur Welt kam, ein Kind der Familie Hubert Stollewerk. Viele Bewohner aus ihrer Umgebung hatten amüsante Begegnungen mit den Alexandesch. Weil sie und der Heidkopf, ihre Heidebesen und ihre nostalgische Lebensweise so schön zusammenpassten, erinnert man sich heute noch gerne an die "Aussteiger von damals". Und was würden die drei wohl sagen, wenn sie heute den Heidkopf sähen? Nicht schwer zu erraten!  "Mer-ho!" - "Siehste net wat haste, et es jo vörr ze baschte!" - "Et es vermaacht!"