Vorstoß in den Westwall
 
 
  Weiße Fahnen grüßen die Amerikaner in Feindesland 
 
 
  Von Jack Belden 
 
 
  13-Sep-1944, Belgien. Da war nichts Aufregendes zu entdecken an der deutschen 
  Grenze, die ein gemaltes Hinweisschild an einer einsamen Straße für uns 
  kennzeichnete. Es war der dunkle Wald und der Westwall, dieses gigantische Stück 
  Beton, den die GI's nun "Ziegfeld" Linie nannten, die uns beeindruckten. Jener hatte die 
  Franzosen und Engländer in einen passiven und unwirklichen Krieg gelockt, während 
  Polen überrannt wurde. Irgendetwas ließ uns ahnen, dass sich das nun bald ändern 
  würde. 
  Unsere gute Aufklärung zeigte uns, dass an der Stelle wo die Karten angaben, 
  tatsächlich auch die Befestigungen waren. Geschützt durch sechs Geschütz Batterien 
  zeigte sich uns eine unaufhörlich sich ändernde Befestigungslinie. Die Streitkräfte 
  mussten durch Schlamm und Matsch, bis unsere Fahrzeuge endlich den Westwall 
  erreichten und in die Schussweite ihrer Geschütze kamen. Aber niemand schoss auf 
  uns, und jedermann diskutierte die weitverbreitete Theorie, dass die Deutschen sich 
  hinter den Rhein zurückziehen und dort eine 'Sieg oder Untergang' 
  Verteidigungsstellung aufbauen wollten. 
  Wir dachten, dass wir noch in Belgien seien. Ein paar hundert Meter zurück hatten 
  die Leute uns noch zugewunken. Nun jedoch war da niemand mehr, außer uns selbst 
  auf der Straße. Alles erschien uns unnatürlich ruhig, als wir aus einem kleinen Wald 
  kamen. Die Silhouette eines Hauses tauchte an der linken Seite auf. Es war ruhig, 
  düster und geheimnisvoll, und aus einem Fenster im ersten Stock hing ein weißer 
  Lappen an einem Bambusstock. Es war kein Zivilist in Sicht, aber diese Fahne schien 
  uns zu sagen "Schießt nicht". 
  Die Häuser, die dort standen erschienen uns wie ein Spuk, und die 
  herunterhängende weiße Fahne war wie ein Geist. Es war ein solcher Kontrast zu den 
  keck wehenden Nationalfahnen in Frankreich, Holland und Belgien hinter uns, dass wir 
  einmal tief durchatmen mussten. Kein Zweifel, hier war Feindesland. 
 
 
  15-Sep-1944, die deutsche Grenze. Zur gleichen Zeit mit uns überschritten rechts 
  und links von uns andere amerikanische Truppen die deutsche Grenze. Die Infanterie zu 
  unserer Linken war vor Aachen in die Bunkerlinie des Westwalls eingebrochen. 
  Als die Deutschen merkten, dass wir tatsächlich in ihre Verteidigungsstellungen 
  eingedrungen waren, starteten sie einen Gegenangriff. Aber es war zu spät; unsere 
  Truppen hielten stand. Daraufhin zogen sie sich bei frontalem Angriff auf die zweite und 
  letzte Bunkerlinie hinter Aachen zurück. Auf diese Weise fiel Bunker für Bunker. Viele 
  der Bunker waren nur mit zwei oder drei Soldaten besetzt, statt wie vorgesehen von 
  einer Abteilung. Soldaten waren eben Mangelware nach den Verlusten in Frankreich 
  und Belgien. Andere waren auch desertiert. 
  Die Bunkeranlagen waren clever durchdacht und gut ausgerüstet mit Belüftungs-
  Einrichtungen, Kojen und Elektrizität. Aber viele Geschichten über den Westwall waren 
  wohl einfach Bluff. Ebenso wie die Franzosen es versäumt hatten, ihre Maginot Linie bis 
  zur Küste auszubauen, schafften es die Deutschen nicht, den Westwall zu verbessern. 
  Das Loch, welches wir bohrten, war klein im Vergleich zur der Gesamtlänge des 
  Westwalls, aber es umfasste die Erweiterungen im Norden und Süden. Wenn alles 
  erobert ist, wird es keine einzige Barriere bis zum Rhein mehr geben. Es gibt in der 
  Truppe die weitverbreitete Meinung, dass der Krieg in ein paar Tagen zu Ende sein wird. 
 
 
  22-Sep-1944, bei Aachen. Die deutschen Zivilisten, die wir trafen, hoben meist 
  bereitwillig die Hände über den Kopf. Sie waren verängstigt durch die Gestapo und 
  unser geschäftsmäßiges Verhalten. Die Leute, die wir gesehen haben, waren alle 
  folgsam, hielten sich aber sehr zurück. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, weil unsere 
  hohe Politik beschloss, dass Soldaten sich ebenfalls zurück zu halten haben. Ein 
  anderer Grund ist, dass die Deutschen immer noch Angst vor uns haben, und dass 
  Gehorsam sozusagen eine ihrer Grundeinstellungen ist. Es gab keine Anzeichen von 
  Sabotage, obwohl eine leichte Panik in Bezug auf Spionage zu beobachten war. Es gab 
  keinen Fall von 'verbrannte Erde' in der Gegend, die wir hielten und in all den Städtchen, 
  die ich untersuchte. Einige Bewohner waren geflüchtet, aber bei weitem nicht alle. Dies 
  erfuhr ich von einem 75 jährigen ehemaligen Offizier. Die Polizei war ebenfalls 
  geflüchtet. Es gibt Grund anzunehmen, dass eine ihrer nächsten Aufgaben die 
  Bekämpfung jeder Art von Erhebung gegen das Nazi-Regime sein wird. In den 
  verschiedenen Grenzstädtchen, die nicht typisch für das ganze Reich sind, beobachtete 
  ich, dass die amerikanischen Militärkommandanten Probleme hatten, geeignete 
  deutsche Helfer für den Aufbau einer Zivilverwaltung zu finden. In Brand mussten sie 
  sogar ein Mitglied der NSDAP zum Bürgermeister machen. 
  Zivilisten leugnen, dass sie Nazis sind und wollen nicht offen gegen die NSDAP 
  Stellung beziehen. Man kann leider nur sehr wenig Kritik hören. Auch wenn das so ist, 
  unsere Richtung folgt aus dem, was ein U.S. Colonel so ausdrückt: "Wir sind nicht daran 
  interessiert, was die Deutschen für eine Einstellung haben." Es gibt wenig Anzeichen 
  von Freude oder wenigstens Erleichterung bei der Zivilbevölkerung, dass sie von der 
  Nazi Unterdrückung befreit wurde. Diese sturen Bauern und Kleinstädter zeigen nach 
  außen hin keine Schuld, dass sie nichts gegen die Machtergreifung der Nazis 
  unternommen haben, oder etwa Scham, dass sie die Welt in einen Krieg stürzten. Sie 
  haben ein kleines Lied, dass wohl an irgendeinen RAF Piloten gerichtet ist:
 
 
  "Lieber Tommy, fliege weiter, nur arme Bauern leben hier.
  Fliege weiter nach Berlin, wo die lauten Ja-Schreihälse sind." 
 
 
  
 
 
  Ein alter Rheinländer steht beobachtend vor dem Gasthaus Schmitz. Auf der 
  Lampe über ihm steht eine Werbung für Simonbräu (Bitburger) Bier. 
 
 
  
 
 
  Die ersten lachenden Gesichter sehen wir auf diesem Bild, aufgenommen in Roetgen. 
  Andererseits schütteten Deutsche kochendes Wasser auf die amerikanischen Soldaten. 
 
 
  
 
 
  Die Drachenzähne des Westwalls in der Nähe von Roetgen südlich von Aachen wurden 
  zuerst von Pionieren gezogen. Dann stößt der Sherman Panzer beladen mit Amerikanern 
  durch. Das alles scheint unglaublich leicht zu sein, aber das war bevor die Deutschen einen 
  verzweifelten Gegenangriff starteten. 
 
 
  
 
 
  Am Ende des Weizenfeldes sieht man getarnte Bunker des Westwalls, im Vordergrund 
  amerikanische Soldaten. Die Bunker waren nicht besetzt. Der Hügel jenseits des Tales ist 
  Luxembourg. Etwa eine Meile voraus liegt das Dorf Großkampenberg an der Straße nach 
  Prüm.